Schulleiter a.D. Dumonts Tagebuch

Tag 741 der Baustelle

Der einzige Termin heute war seit längerem geplant. In aller Regel, so habe ich es zumindest kennen gelernt, erhalten ausscheidende Schulleiter bei einer feierlichen Verabschiedung auch die offizielle Urkunde der Ministerpräsidentin durch die Schulaufsicht, mit welcher die Versetzung in den Ruhestand beamtenrechtlich vollzogen wird. Dass es eine solche Feier für mich nicht geben würde, teilte ich auch unserer Referentin mit, worauf sie meinte: „Aber Ihre Urkunde muss ich Ihnen nicht mit der Post zuschicken, oder?“. Also vereinbarten wir, dass ich meine Urkunde am Tag vor meinem Urlaub bei ihr im Büro abholen würde, ganz im Stillen, ohne Pomp und Aufwand. So ganz war es dann heute doch nicht. Das zuständige Referat 37 hatte durch eine Eintragung im dortigen Terminkalender Wind davon erhalten und alle wollten „dabei sein, wenn Herr Dumont seine Urkunde erhält“.

Tag 740 der Baustelle

Der gestrige Tag verlangte viel von mir ab, das Ausräumen wurde durch vier lange Gespräche unterbrochen bzw. über drei Stunden hinweg sogar gestoppt. Zunächst gilt es ja, die Schule so aufzustellen, dass sie nach den Ferien möglichst übergangslos weiterläuft. Hinzu kam eine seit längerem zugesagtes Video-Interview mit einem hessischen Juristen aus der Schulverwaltung. Er ist Redaktionsmitglied einer Zeitschrift namens „Schulverwaltung“, für die ich selbst in „grauer Vorzeit“ als Stufenleiter schon mal geschrieben und unsere damalige Projektarbeit und differenzierte Leistungsmessung vorgestellt habe. Das Gespräch, die Videoschaltung oder wie auch immer sollte länger dauern als die eingeplanten sechzig Minuten. Aber wir stachelten uns gegenseitig immer wieder mit Stichworten an, die der jeweils andere direkt mit einer Anekdote zu schmücken wusste. Eigentliches Thema war aber die erfahrene Zusammenarbeit mit der Schulaufsicht. Da konnte ich aus dreizehn Jahren natürlich eine Menge Stoff liefern. Mittendrin wollte sich das Reinigungsteam noch von mir verabschieden, aber sie sahen mich, das Headset auf den Ohren, das Mikrofon vor dem Mund, am Computer sitzen. Sie hoben ihre Geschenke hoch gestikulierten, dabei musste es momentan bleiben. Sie legten zwei Tafeln Schokolade auf den Tisch und eine Rolle Schokokekse. Die einen wollen mich zum Trinker machen, die anderen zum Schwergewicht. Dank gestisch ausdrückend und einen „Luftkuss mit der Hand gestikulierend“, nahm ich an. Während des Gesprächs trat auch der Bagger in Aktion. Zuvor hatte ich auf den zugeschütteten Leerrohren gelbe und blaue Bänder gesehen. Sollte der Graben einmal geöffnet werden, weiß der künftige Baggerführer: Achtung! Wasser- oder Gasrohre! Und dann schüttete das Baugerät den Graben mit Schotter zu, ein Rüttler verdichtete ihn mit dauerhaftem Brummen, das wieder bis ins Büro zu hören und manchmal zu spüren war.

Tag 738 der Baustelle

Ist das ein seltsames Gefühl: Dreizehn Jahre lang waren die Schlüssel des Wachenheimer Standortes fester Bestandteil meines Schlüsselbundes. Nun sind sie weg, abgegeben beim Hausmeister und der Schlüsselbund verschlankt. Ich räumte heute meine Musikutensilien in Wachenheim auf, ein letzter Gang alleine durch die leeren Teamräume, deren Bau ich ja noch miterlebte, Verabschiedung bei der Sekretärin – und dann diese seltsame Erkenntnis: Wo ich so lange aus und einging, morgens, mittags, abends, während der Unterrichtszeit und in den Ferien, wo wir 2208 gestartet sind, da komme ich jetzt nicht mehr rein. Erneut ein greifbarer Schritt, der kein Zurück mehr erlaubt.

Tag 737 der Baustelle

Angesichts des Gesamtkollegiums war mir gar nicht aufgefallen, dass die beiden Schulsozialarbeiterinnen – ja, beide sind aus der Elternzeit zurück und wir können wieder an beiden Standorten auf ihre Unterstützung bauen – bei der Verabschiedung verhindert waren. So kamen sie eigens heute ins Büro, natürlich mit süßen Teilchen, wie damals bei der ersten Vorstellung, als ich gebeten hatte, welche mitzubringen, „Für Kaffee sei gesorgt“. Was ich so alles gesagt habe in all diesen Jahren und unbedachte Sätze werden gespeichert und setzen sich fest. Ganz im Stile ihrer Arbeit formulierten sie eine große Abschiedskarte mit einer „Warmen Dusche“. So bezeichnet ist eine Übung des gruppendynamischen Arbeitens, bei welchem ein/e Teilnehmer/in in der Mitte eines Stuhlkreises sitzt und von allen etwas Positives gesagt bekommt. Und wieder steht auch dort: Natürlich wollten die beiden auch mein Abschiedsvideo sehen, das sie ja noch nicht kannten. Nochmals eine schöne Wertschätzung.

Tag 734 der Baustelle

Letzter Schultag dieses verrückt gelaufenen Schuljahres und nicht nur das, denn nach knapp dreißig Jahren als Lehrer neigt sich heute ja auch mein Berufsleben seinem Ende zu. Doch ich hatte keine Zeit, diesem Gedanken Raum zu geben. In der ersten Stunde übte ich mit der Fünferklasse in Musik nochmals den Schulkanon. Dann ließ ich mir erzählen, wie sie sich auf den gestrigen Überraschungsauftritt am Standort Deidesheim vorbereitet hatten. Noch immer leuchteten ihre Augen, dass sie es hinbekommen haben, mich so in Unkenntnis zu lassen und diesen Coup gelandet zu haben, ohne dass ich es auch nur geahnt habe. Dabei stand heute noch immer auf der Hausaufgabentafel: Cupsong üben! „Da hätten Sie doch etwas erahnen müssen!“ Wie faszinierend!

Tag 733 der Baustelle

Dass dies kein normaler Donnerstag werden würde, war mich schon irgendwie klar. Immerhin standen eine Dienstbesprechung und die Personalversammlung an. Erstere war all die Jahre zuvor dadurch gekennzeichnet, dass ich ausscheidende Kolleginnen und Kollegen verabschiedete und einen Ausblick auf die Personalsituation für das kommende Schuljahr gab. Mir war auch klar, dass ich für meine eigene Verabschiedung etwas zu erwarten habe. Bis auf den gestrigen „Rausschmiss“ aus der Schulleitungssitzung hatte ich aber nicht die geringste Andeutung erhalten, was da kommen könnte.

Tag 732 der Baustelle

Was macht der große Bagger auf wie der eh raren Parkplätze? Gut, dass ich so früh dran bin, da sind noch ausreichend Plätze frei. Später wird sich mancher wieder ärgern, weil er weiter weg parken muss. Später beobachtete ich, dass der große Kipper mit einer neuen Ladung Sand in der Baustelle stand. Ach ja, ich glaube heute war doch der Termin für das „Einsanden“ des Anschlussgrabens. Jetzt fuhr auch der Bagger an und kippte Schaufel für Schaufel in den Graben. Drinnen standen zwei Bauarbeiter und verteilten den Sand so, dass nur die Oberfläche der schwarzen Fernwärmerohre noch zu sehen war. Schnell war der Sandhaufen weg, da kam ein kleinerer Kipper und brachte Nachschub für den Estrich. Von den zehn Paletten mit Estrichsand waren bereits acht schon verarbeitet. Den ganzen Tag über hörte ich das Brummen der Mischmaschine, doch der Ziehharmonika-Schlauch geht immer noch in die zweite Etage hoch. Da staunte ich doch, wieviel Estrich da ausgebreitet werden muss. Denke ich aber an die Betonfläche nach den letzten Sommerferien, ist die Fläche, die mit Estrich bedeckt werden muss, ungleich kleiner, denn die Wände des Rohbaus nehmen davon nicht viel weg. Das Brummen wird daher die nächsten Tage wohl noch andauern.

Tag 731 der Baustelle

Wie bitte? Das kann doch nicht wahr sein! Das ist doch zum Mäusemelken, wie wir früher sagten. Noch vor acht Uhr klingelte mein Smartphone, die Nummer kannte ich durch den gestrigen Kontakt nur allzu gut: das Gesundheitsamt! Eben hatte ich noch mit dem Hausmeister abgesprochen, wie wir angesichts des Dauerregens die Testung einigermaßen im Trockenen hinbekommen und dass er doch quer zu den Tischen noch zwei Stellwände als Sichtschutz aufstellen soll und mit ihm festgestellt: alles im Griff! Und nun? Dem positiven Corona-Test bei dem Schüler lag ein Fehler des untersuchenden Labors zugrunde. „Sie können alle getroffenen Maßnahmen aufheben bzw. zurücknehmen“. Ich dachte, mir fällt ein Ohr ab! Nach all dem Stress gestern jetzt dies: Gehe zurück auf Null! Schnell machte ich zu Unterrichtsbeginn eine Durchsage und hob die Maskenpflicht im Unterricht auf. Wie können wir die Zwölfer erreichen, die doch in einer Stunde hier ankommen und einen Test erwarten. „Ich habe für gleich eine Videokonferenz geplant. Das sind eine ganze Reihe von Zwölfern beisammen“. Das war natürlich der kürzeste Weg der Information, zwar nicht für alle in gleichem Maß, aber sehr schnell. Den Rest würden sicherlich die sozialen Medien übernehmen. Und tatsächlich klingelte das Telefon bereits, als ich gerade ins Büro kam. Eine erste Mutter glaubte angesichts dieses „normalen Wahnsinns“ an einen vorgezogenen Schülerstreich. Die erste Information war also draußen, keiner machte sich auf den Weg zum Testen, aber einen Unterricht für heute zu organisieren war natürlich nicht mehr drin. Also verfasste ich eine E-Mail an alle Schülerinnen und Schüler des Jahrgangs und einen erläuternden Elternbrief, der über die Stammkursleiter an die Eltern gehen sollte. Kurz Luft holen: Was bedeutet das jetzt? Alle waren seit gestern auf Quarantäne eingestellt, Veranstaltungen waren abgesagt, könnten jetzt aber wieder stattfinden. Kriegen wir das noch bei den betreffenden Menschen umfassend geklärt? Auf alle Fälle musste ich die Schulaufsicht über die neue Entwicklung unterrichten. Dazu hörte ich aus Wachenheim die Nachricht: Der Junge, bei dem gestern beim Selbsttest eine positive Anzeige auf dem Testplättchen erschien, wurde anschließend zweimal in einem Testzentrum getestet: Beide Tests negativ, also auch kein PCR-Test veranlasst. So war die IGS Deidesheim/Wachenheim nach alldem, was gestern war, heute binnen kurzer Zeit und auf Kopfschütteln-hervorbringende Weise wieder coronafrei. Irgendwie ein Treppenwitz, der so wenig glaubhaft oder wahrscheinlich ist, dass ihn kein Nachgeborener glauben wird. Aber genauso hat alles stattgefunden! Dafür bürge ich

Tag 730 der Baustelle

Ich hatte es befürchtet: Corona, Gesundheitsamt und Schule, das passt nicht recht zusammen, das wird ungemütlich und das wird Stress verursachen. Und genauso fühlte sich das heute an. Vorsorglich habe ich mich vom Unterricht befreien lassen, um vor Ort alles regeln zu können. Gleich morgens suchte ich den Kontakt zum Gesundheitsamt. Klar: Kontaktnachverfolgung, Quarantänemaßnahmen, Info-Briefe, Kurs- und Adresslisten und das an einem Tag, an welchem das Sekretariat mit den Zeugnissen eh völlig „ausgebucht“ ist. Erneutes Nachfragen und schließlich das Ergebnis des Amtes: Der komplette Jahrgang muss einen PCR-Test machen, nein, nicht im Gesundheitsamt, nicht in einem Testzentrum. Ein Team kommt dazu eigens in die Schule. „Können Sie eine Testung im Freien organisieren, möglichst überdacht?“. Da kommt bei uns nur der aufgestelzte Bereich unter im Durchgang in Frage. Tische, Stühle und Abfallbehälter mit dem Hausmeister absprechen, Zeitraster erstellen mit fünf Schülerinnen und Schüler im Abstand von 15 Minuten. „Können Sie die Info-Briefe des Gesundheitsamtes an die Familien weiterleiten?“ Da steht was von vierzehntägiger Quarantäne drin, das beträfe auch die erste Ferienwoche. Nachfragen, Unmut, Unverständnis. „Muss der Test bezahlt werden?“, „Was ist mit den Zeugnissen? Was mit der Schulbuchausleihe?“, „Wieso müssen die Schülerinnen und Schüler, die doch in Quarantäne sind, in die Schule kommen?“, „Weshalb hebt ein negativer Test die Quarantäne nicht auf?“. Fragen über Fragen, dabei ist die Schule doch nur ausführendes Organ, die Stelle, die entscheidet ist das Gesundheitsamt, das streng die Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes umsetzt. Es hörte nicht auf, so dass wir noch am Nachmittag einen erläuternden Brief an die Eltern verfassten. Er sollte wenigstens die höchsten Wellen glätten helfen.

Tag 728 der Baustelle

Kein Wunder: es ist ja Samstag, der klassische Wochentag für Anrufe aus dem Gesundheitsamt. Ein Schüler aus dem zwölften Jahrgang wurde positiv auf Corona getestet. Es gibt anscheinend Hinweise, dass die Infektion im Umfeld der Schule stattgefunden hat. Die Maßnahmen sind damit klar: Der Zwölferjahrgang bleibt ab Montag zu Hause, generelle Maskenpflicht auf dem Schulgelände in Deidesheim, auch wieder im Unterricht. Soweit klar. Das setzt dann eine Informationsflut in Gang, alle Jahrgänge und alle Kolleginnen und Kollegen informieren. Ein erster Hinweis könnte die Selbsttestung erbringen, die ich dann kurzerhand auf Montag erste Stunde verlegt habe. Auch das muss jetzt organisiert werden. Eventuell, auch das Gesundheitsamt hat so etwas wie ein Wochenende und konnte es heute nicht entscheiden, rückt das Amt zu einem „Massenabstrich“ an. Aber an einem Samstag entscheidet das dort auch niemand. Also: Maßnahmen erstmal umsetzen, Ergebnisse abwarten und dann am Montag weitersehen. So verfolgt mich der Virus bis in die letzte Woche hinein. Bei Sportlern heißt es immer, nach dem Wettkampf: Auslaufen oder zumindest Massage der Muskeln. Mir scheint das nicht vergönnt, ich „laufe bis zum Ende auf Hochtouren“.

  • Seite 1 von 25
  •   »
  •  

     


Die bisher erschienen Bücher sind erhältlich im: www.littera-verlag.de/Bücher
(Das Autorenhonorar kommt dem Förderverein der IGS zu Gute.)

Tagebuch_6 Soeben erschienen
„Schulleiters Tagebuch 6,
Die Baustelle und Corona“
2021


Letztens 2 „Letztens 2 - ,
Erlebtes rund um die Schule“
2020

Tagebuch 5
„Schulleiters Tagebuch 5,
Warten auf den Bau“
2017 – 2019

Letztens 1 „Letztens –
Schulleiters Tagebuch ergänzende Kolumnen“

tagebuch_4_ "Schulleiters Tagebuch 4,
Der Weg zum Abitur
2014 - 2017"

Tagebuch 1-3"Deshalb IGS -
Positionen und Hintergründe zur Integrierten Gesamtschule mit Beiträgen aus Schulleiters Tagebuch 1 bis 3"

Tagebuch 3 "Schulleiters Tagebuch 3,
Die ersten Abschlüsse,
2012 - 2014"

Tagebuch 2 "Schulleiters Tagebuch 2,
Der Start in Deidesheim,
2010 - 2012"

Tagebuch 1 "Schulleiters Tagebuch,
Der Start in Wachenheim,
2010 - 2012"