Schulleiter a.D. Dumonts Tagebuch

Tag 667 der Baustelle

Bei Sonne pur im Differenzierungsraum fanden heute früh weitere Präsentationen statt: „Die toten Hosen“, nochmal „Mark Forster“ und „Mein Instrument: die Trompete“. Nochmal und immer noch, die aktuelle B-Gruppe hatte ich ja zuletzt vor zwei Wochen gesehen: der Cupsong. Alle Klassen wollen ihn zur Begrüßung der neuen fünften Klassen vorführen. Wie soll, wie kann das gehen? Da müssen noch viele Gedanken und Planungen rein.

Tag 666 der Baustelle

Die nächste Schnapszahl in der Baustellenzählung – doch nur die Wattestäbchen werden einverleibt und die in die Nase, die Flüssigkeit bleibt im Teströhrchen. „Trockene Baustelle“ nennt mein Bruder das immer. Dennoch passiert draußen Wesentliches, obwohl ich (noch) nicht weiß, wozu das genau geschieht. An der Außenfassade sprüht ein Arbeiter mit einer Schablone entlang eines roten Striches (Wer hat denn diesen eingezeichnet?) reihenweise Markierungen auf den Beton. Ich fragte mich, ob diese für die Dämmung notwendig sein werden, denn sie sind auf die gesamte Fläche in mehreren Reihen aufgesprüht worden. Sollten das einmal alles Bohrlöcher werden, stehen uns geräuschvolle Zeiten bevor. Aber erstmal abwarten, was damit geschieht. Immerhin hat sich die Anzahl der Sprinter wieder erhöht, vier bis fünf fahren uns täglich an und stehen dann den Tag über im Hof. Allerdings ohne, dass werbende Schriftzüge die Firmen und ihre zu verrichtenden Arbeiten erkennen lassen. Die Windgeschwindigkeiten haben sich auch deutlich verringert, so dass sich die Bauarbeiter wieder sicherer auf dem Gerüst bewegen können. Wie viel ihrer Lebenszeit sie in beträchtlicher Höhe und auf diesem nicht festen Untergrund verbringen mögen? Da bleibe ich als Schulleiter doch lieber mit den Füßen auf festem Boden.

Tag 664 der Baustelle

Gestern überraschte mich „meine“ Fünferklasse in Musik beim Cupsong. Sie wollten für ihre Tutoren ein Video aufnehmen, weil sie diese faszinierende Bechernummer bei der Begrüßungsfeier der nächsten fünften Klassen vorführen wollen. Klar, dass ich diese Filmchen in keinerlei Weise verbreiten würde. Bei einem Schüler lag die Einverständniserklärung der Eltern nicht vor, also wurde er kurzerhand zum Kameramann ernannt. Den Clip, hauptsächlich sind wandernde Becher und Hände zu sehen, zog ich am Nachmittag noch auf einen USB-Stick für die Tutoren. Die werden überrascht sein.

Tag 660 der Baustelle

Die Nordseite ist jetzt mit den ersten beiden Klassenzimmern in Wachenheim an der Reihe. Heute war davon mein Unterricht betroffen, der während des Fenstertauschs im fertigen BK-Saal stattfand. Für das Einüben des Cupsongs eigentlich nur von Vorteil. Nun bin ich erstmals zwar selbst von den Baumaßnahmen betroffen, aber insgesamt haben wir das Gröbste hinter uns. Was jetzt noch erfolgt, ist geplant und kann, auch wenn die Grundschule betroffen sein wird, umgesetzt werden.

Ein fester Termin in jedem Schuljahreskalender ist die Mitteilung an die Eltern, wenn hinsichtlich des zweiten Halbjahres sich die Leistungen verschlechtert haben und ein Nichtversetzung oder die Gefährdung eines Abschlusses ins Haus stehen könnte. Hausintern heißt das einfach „blaue Briefe“, ein Begriff, der sich aus der historischen Verwaltung ableitet, die seinerzeit amtliche Briefe in blauen Kuverts verschickt hatte. Wir können da auf ein festes Prozedere zurückgreifen, das sich seit einigen Jahren eingespielt hat, denn die Mitteilung der Schule an die Eltern muss zu einem bestimmten Termin erfolgen. Im vergangenen Jahr war dieser Termin coronabedingt ausgesetzt und konnte nach hinten verschoben werden. Wie ist das in diesem Jahr? Eine Frage, die ich nicht beantworten konnte, so dass ich die Schulaufsicht anrief. Ich solle das kurz per Mail schildern, was ich vergangene Woche bereits tat. Heute nun kam die Antwort ebenfalls per Mail. Meine Anfrage ging über die Referentin zum Referatsleiter, such er wusste keine Antwort und sandte die Anfrage weiter zum Ministerium. „Nein, die Regelung hat in diesem Jahr keinen Bestand mehr! Es gilt die normale ÜSchO-Regelung“, lautete die Antwort, welche über dieselben Stationen lief, bis sie bei mir ankam. Wir waren darauf vorbereitet, so dass diese Antwort uns nicht vor unlösbare Probleme stellt, aber dass die Anfrage diesen Weg gehen musste, zeigt ja, dass sie berechtigt war und nicht nur von uns nicht beantwortet werden konnte.

Tag 658 der Baustelle

Meinen Musikunterricht von heute musste ich vertreten lassen, was mit dem Einüben des Cupsongs auch gut möglich war. Der Grund: Ich sollte an einer letzten Besprechung für die Ausstattung der kommenden naturwissenschaftlichen Räume teilnehmen. Eine Delegation aus der Bauabteilung, des Architektenbüros, der beauftragten Firma und der beiden Fachkonferenzleitungen sollten noch einmal final über das Vorhaben blicken. Der Zeitverzug seit dem letzten Planungstreffen (es liegt wohl drei Jahre zurück) zum einen und zum anderen die abschließende Feinabstimmung vor der Auftragsvergabe machten dieses Treffen notwendig. Wo sind jetzt die Handwaschbecken? Wie verlegen wir genau die Abwasserleitungen? Welche Schränke (mit Abluft für die giftigen Chemikalien) kommen an welche Stelle? Und wieder spielte ein Digestorium eine große Rolle. Ich hatte diesen Begriff bereits vor Jahren in meinen Wortschatz aufgenommen. Es ist im Grunde ein abgeschlossenes Glasgehäuse mit Abzugshaube, bekannt aus den Laboratorien vor allem in der Chemie, zur sicheren Durchführung von chemischen Experimenten. Hinzu kommt, dass es feststehende oder mobile Versionen gibt. Auf alle Fälle ein aufwändiger Bestandteil naturwissenschaftlicher Räume, welches mit den An- und Abschlüssen der Schläuche genauestens geplant sein will.

Tag 657 der Baustelle

Zwei Baustellen, verpflichtende Selbsttests, auch mit wiederkehrenden Ablehnungen derselben auf Seiten der Jugendlichen und Eltern, Ausstattung der neuen Nawi-Räume, Unterrichtsbesuch, Schulträgerausschuss – da wird mir ganz schön was geboten dieser Tage.

Gestern in Wachenheim sah ich weitere Fenster eingebaut, der Computerraum und der Kunstsaal sind wieder für den Unterricht freigegeben. Nur die Betonsockel unter den Fenstern harren noch nackt auf die bedeckenden Fensterbänke. Nun kommt so langsam die Nordseite ins Spiel. Heute nun soll wieder heftig gebohrt worden sein, so die telefonische Nachricht. Die schweren Fensterelemente müssen ja mit langen Schrauben im alten Beton verankert werden. Loch für Loch geht es voran. Da freue ich mich doch über einen Unterrichtsbesuch in Gesellschaftslehre zum Thema: „Ist Cybermobbing strafbar?“ Herrliche Gruppenarbeit, gut vorbereitetes Material, Siebtklässler, die sich freudig an den Musikunterricht erinnern und mich fröhlich begrüßen: „Sie mal wieder hier bei uns? Schön!“

Tag 653 der Baustelle

Ein wunderbar sonniger Morgen erwartete mich in Wachenheim, allerdings mit kaltem Wind um die Ohren und einer Umleitung zur Schule, weil die wichtigste Kreuzung derzeit wegen einer längeren Sanierung gesperrt ist (bis August soll das dauern!). Mich erwartete die B-Gruppe, also etwa fünfzehn Schülerinnen und Schüler, die zuletzt vor zwei Wochen erlebt hatte. Ich blicke da kaum noch durch. Halbierte Klassen, drei an der Zahl, A- und B-Gruppe nur alle zwei Wochen im Wechsel und nur für einen Termin, dazwischen noch die Osterferien – nein, das ist einfach nicht die Schule, die ich kenne und liebe! Immerhin wurde heute, noch immer aus der Zeit des Fernunterrichts, ein Sänger vorgestellt, den ich selbst kenne: Johnny Cash mit seinen Liedern „I Walk The Line“ und „Ring of Fire“. Nach all den Rappern und Hip-Hop-Künstlern mal was für ältere Semester. Ich wunderte mich, und fragte den Jungen, wie er denn darauf käme. Zu Hause hätten sie ihn öfter gehört, meinte er. Prima, Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit.

Tag 652 der Baustelle

Eine Abfrage des Landes stellte mich fachlich und sprachlich vor größere Probleme. Es ging um die IT-Ausstattung der Schule mit Fragen wie: Über wie viele Geräte verfügt die Schule? Wie viele davon sind Leihgeräte aus dem Sofortprogramm? Wie viele davon werden pädagogisch genutzt? Na bitte, doch wohl alle, wir sind eine Schule! Wie viele Räumen sind mit WLAN ausgeleuchtet? Welche Lernplattformen (hybrid oder cloudbasiert) werden genutzt? Wie viele IT-Vorfälle gab es in letzter Zeit? Wer übernimmt den First-Level-Support? Wie ist der Second-Level-Support vergeben? Welche Probleme konnten in welchem Zeitraum behoben werden? Wie wurden sie gelöst: per Telefon, in einem Tag, in zwei Tagen? Hat es länger als eine Woche gedauert? Wer denkt sich denn so etwas aus? Wofür braucht man all die einzelnen Daten, die dann als Zahl irgendwo eingetippt und dann vermutlich nochmal zusammengezählt werden und einen Landesdurchschnitt ergeben. Dieser aber ist für die einzelne Schule bedeutungslos und hilft keinen Mangel abzustellen. Wieso müssen das eigentlich Pädagogen machen, wo doch alles bereits im Medienkonzept steht? Ich half mir so, dass ich die knapp 25 Seiten an die Mediengruppe zum Ausfüllen delegierte. Aber auch sie stießen an eine Grenze und benötigten „unseren Second-Level-Support“ bei der Kreisverwaltung. Nun ja, wir haben die Daten gerade noch pünktlich hochladen können.

Tag 650 der Baustelle

Für die Baustelle in Wachenheim gibt es einen neuen Plan. Noch einer also, der vermutlich nicht eingehalten werden wird. Aber langsam geht es voran. Immer mehr Fenster werden in die großen Lücken gehoben, zunächst noch ohne Glas. Das kommt immer später rein, aber ich habe diesen Vorgang noch nicht beobachten können. Dafür konnte ich live im Unterricht erleben, wie der Kran eines dieser großen Rahmenelemente übers Dach auf die Nordseite transportierte. Die breiten Bänder wurden durch den offenen Rahmen gezogen, festgezogen und an großen Haken eingeklinkt, nicht ganz mittig, denn das Fensterelement baumelte schräg über das Dach. Es kam aber wohl gut an, denn kurz darauf schwenkte der Kran mit leerem Seil wieder auf unsere Seite.

Tag 646 der Baustelle

Am Standort in Wachenheim geht die zweite Baustelle voran, der Computerraum ist wieder eingeräumt und verkabelt, im Kunstsaal ist neben den Fenstern auch die neue Decke drin, ebenfalls im Teamraum im Untergeschoss. Lärm und Baudreck sind zwar nach wie vor stetige Gäste, aber der Fortschritt ist deutlich sichtbar, ja, ein Satz kam heute hinter meiner Maske hervor: „Der Kunstsaal wird zu einer richtigen Assembly-Halle!“ Dabei wissen die Sechstklässler und schon gar nicht der fünfte Jahrgang, dass wir vor Corona so etwas hatten. Kann das wieder fußfassen? Ist die Lücke inzwischen so groß, dass dieses Konzeptmerkmal untergehen wird?


Die bisher erschienen Bücher sind erhältlich im: www.littera-verlag.de/Bücher
(Das Autorenhonorar kommt dem Förderverein der IGS zu Gute.)

Tagebuch_6 Soeben erschienen
„Schulleiters Tagebuch 6,
Die Baustelle und Corona“
2021


Letztens 2 „Letztens 2 - ,
Erlebtes rund um die Schule“
2020

Tagebuch 5
„Schulleiters Tagebuch 5,
Warten auf den Bau“
2017 – 2019

Letztens 1 „Letztens –
Schulleiters Tagebuch ergänzende Kolumnen“

tagebuch_4_ "Schulleiters Tagebuch 4,
Der Weg zum Abitur
2014 - 2017"

Tagebuch 1-3"Deshalb IGS -
Positionen und Hintergründe zur Integrierten Gesamtschule mit Beiträgen aus Schulleiters Tagebuch 1 bis 3"

Tagebuch 3 "Schulleiters Tagebuch 3,
Die ersten Abschlüsse,
2012 - 2014"

Tagebuch 2 "Schulleiters Tagebuch 2,
Der Start in Deidesheim,
2010 - 2012"

Tagebuch 1 "Schulleiters Tagebuch,
Der Start in Wachenheim,
2010 - 2012"