Schulleiter a.D. Dumonts Tagebuch

Donnerstag, 17. Juni 2021


Tag 705 der Baustelle

Neu ist der Gedanke beileibe nicht, dass Schulen eine Patenschaft für jüdische Friedhöfe übernehmen, schließlich arbeiten seit Jahren Schülerinnen und Schüler unserer Schule in Deidesheim auf selbigen und machen ihn sozusagen winterfest. Auch den viel größeren Friedhof in Wachenheim verknüpfen die Religionsgruppen mit der Schule und besuchen ihn innerhalb einer Unterrichtsreihe. Hinzu kommt, dass mich jüdische Friedhöfe seit Jahrzehnten immer wieder neu berühren, was ich nicht zuletzt in dem Text Letztens ging ich über den jüdischen Friedhof in dem Büchlein Letztens mit einer eigenen Würdigung versehen habe. Dennoch stufe ich es als Glücksfall und als Erfolg persönlicher Beziehungen ein, dass es nun eine Anfrage gibt, ob wir nicht den Wachenheimer Friedhof „unter unsere Fittiche“ nehmen wollen. Konkret bedeutet das, dass immer mehr Grabsteine zu verwittern drohen, weil sie von Moos und Efeu bewachsen sind, die Städte als Eigentümer vieler Friedhöfe ab mit dem Reinigen nicht hinterherkommen. Es geht lediglich darum, mit zarten Bürsten, auch Zahnbürsten, das Moos abzutrennen, vielleicht auch in den Vertiefungen der eingehauenen hebräischen Buchstaben, um die Verwitterung der Steine etwas zu verlangsamen. Auf keinen Fall dürfen effektivere Bürsten mit Metallborsten verwendet werden. Diese griffen zu massiv in den alten Sandstein ein.

Klassen der höheren Jahrgänge könnten zusätzlich Recherchearbeit leisten und die Gräber katalogisieren. Das gibt es bei verschiedenen jüdischen Friedhöfen, nicht so für den recht sehr alten und recht großen in Wachenheim. Ein Übersetzer der hebräischen Schriftzeichen könne ganz in der Nähe gefunden werden. Vor allem die Trauerhalle, die in Rheinland-Pfalz eine Besonderheit darstellt und immer baufälliger wird, müsste dringend restauriert werden, was die Schulpatenschaft natürlich übersteigt. Soweit die Vorgeschichte, die ich im Eintrag am 21. Mai bereits kurz erwähnt hatte.

Während der Pfingstferien vereinbarten wir bereits einen Termin mit dem Beauftragten für Gedenkstättenarbeit für den heutigen Tag, der einmal der Tag der deutschen Einheit war. Ich steckte am Morgen bereits meine Kippa ein und war pünktlich (bei sengender Hitze) in Wachenheim angekommen. Und wieder berührte mich dieser Ort, der trotz meiner vielen Besuche nichts von seiner Wirkung eingebüßt hat. In der schattigen Trauerhalle führte der Beauftragte in das Thema Judentum ein, an ein zwei Stellen ergänzte ich durch meine Kenntnis, bevor wir zu einzelnen Grabsteinen gingen und die Reinigung mithilfe der mitgebrachten Utensilien gezeigt werden konnte. Da könnten doch Segmente auf der großen Fläche abgesteckt und einzelnen Klassen zugewiesen werden oder besonders auffällige Grabsteine rücken in den besonderen Blick. Sehr interessant (und neu) fand etwa ich die Ausführungen an einem Doppelgrabstein aus dem siebzehnten Jahrhundert in Form der Gesetzestafeln. Ein Rabbi sei hier begraben, der Name war glaube ich Eliser. Sein Bruder Jakob sei eine Stunde, nachdem der Rabbi verstorben sein, ebenfalls aus dem Leben geschieden, weswegen beide hier gemeinsam beerdigt worden seien. Was mag sich da damals abgespielt haben? Wie groß die Trauer und der familiäre Einschnitt, gleich zwei Brüder auf einmal zu verlieren. Da kommt ein wahres Kopfkino in Gang, das sich in das Elend der Familie einfindet. Um solche Geschichten und Fakten mag es bei der Recherchearbeit gehen. Welch interessantes Arbeiten in und für die Realität ist da möglich. Da wird Schule lebendig, da wird ein „Sitz im Leben“ vermittelt und das ganze Anliegen ist in mehrere Bezüge eingehüllt: 1700 Jahre Judentum in Deutschland, Erhalt und Erforschung einer Gedenkstätte und aktuelles Arbeiten als Zeichen gegen den erneut aufkeimenden Antisemitismus!


Die bisher erschienen Bücher sind erhältlich im: www.littera-verlag.de/Bücher
(Das Autorenhonorar kommt dem Förderverein der IGS zu Gute.)

Tagebuch_6 Soeben erschienen
„Schulleiters Tagebuch 6,
Die Baustelle und Corona“
2021


Letztens 2 „Letztens 2 - ,
Erlebtes rund um die Schule“
2020

Tagebuch 5
„Schulleiters Tagebuch 5,
Warten auf den Bau“
2017 – 2019

Letztens 1 „Letztens –
Schulleiters Tagebuch ergänzende Kolumnen“

tagebuch_4_ "Schulleiters Tagebuch 4,
Der Weg zum Abitur
2014 - 2017"

Tagebuch 1-3"Deshalb IGS -
Positionen und Hintergründe zur Integrierten Gesamtschule mit Beiträgen aus Schulleiters Tagebuch 1 bis 3"

Tagebuch 3 "Schulleiters Tagebuch 3,
Die ersten Abschlüsse,
2012 - 2014"

Tagebuch 2 "Schulleiters Tagebuch 2,
Der Start in Deidesheim,
2010 - 2012"

Tagebuch 1 "Schulleiters Tagebuch,
Der Start in Wachenheim,
2010 - 2012"