Schulleiter a.D. Dumonts Tagebuch

Tag 683 der Baustelle

Für die erste Ferienwoche hatte ich mich mit unserer Referentin verabredet, um die Personalplanung für das kommende Schuljahr etwas weiterzutreiben. Auf Grundlage des vorläufigen Gliederungsplans gingen wir Zahlen, Namen und Stunden durch, addierten, nahmen vorhersehbare Änderungen in den Blick, korrigierten, nahmen hier hinzu und strichen dort. Am Ende wird sich die Zuweisung von Lehrkräften daran entscheiden, ob ausreichend Schülerinnen und Schüler die zehnte Klasse besuchen. Sinkt die Zahl auf 90, springt der Gliederungsplan um und wir erhalten lediglich die Stunden für drei Klassen. Das wird nochmal spannend und sich letztlich erst am Tag der Zeugniskonferenzen entscheiden.

Tag 682 der Baustelle

Wie sollte ich an dem heutigen Tag nicht an die Geißbockversteigerung denken? Das Abholen des Geißbockes am Stadtrand mit den Honoratioren des Stadtrates in schwarzen Anzügen, der Bürgermeister mit seiner Amtskette, alle mit schwarzem Zylinder, die Darsteller des historischen Stadtrates in Kostümen, die Schulkinder mit ihren Schildern, unsere Sechstklässler mittendrin, der geschmückte Geißbock, das jüngst vermählte Hochzeitspaar aus Lambrecht, die Deidesheimer Weinprinzessin, der Zug zum Rathaus, die eigens aufgebaute Bühne, Massen von Publikum, kaum Durchkommen, das Geißbocklied von  allen gesungen, unterstützt durch die Blasmusik…all das bleibt heuer aus, all das hat der Virus nun zum zweiten Mal geblockt. Nun ja, es ist auch ein kleiner Vorteil dabei, denn das Wetter spielte heute nicht richtig mit. Bisher kenne ich dieses Fest nur bei Sonnenschein. Heute wäre es ungemütlich frisch und wohl auch etwas nass.

Tag 681 der Baustelle

Mein lieber Mann, ich hätte nicht gedacht, dass die neuen Fenster in Wachenheim den Eindruck im Klassenzimmer so verändern. Es wirkt viel heller, freundlicher, luftiger. Da ist neben dem energetischen Vorteil eine ganz schöne Verbesserung eingetreten. Gerade die zu öffnenden gelben Fensterrahmen kommen gut zur Geltung. Wie mögen sich da die fehlenden Fensterbänke wohl noch auf das Gesamtbild auswirken. Jedenfalls: Daumen hoch! Dafür war heute irgendwas mit dem Kran draußen los. Drei Arbeiter kümmerten sich um die Fernbedienung, die Fahrerkabine wurde dauernd hoch- und runtergefahren und immer hupte es wie auf der Kirmes…

Tag 680 der Baustelle

Die Fensterrahmen auf der Hofseite sind bereits eingebaut. Geht ja ganz flott voran. Auch die Glasscheiben sind bereits geliefert und stehen, nur sehr spärlich verpackt, in den Metallständern auf dem Hof. Inzwischen habe ich beobachtet, dass Manitou sowohl mit einer Gabel als auch mit einem Haken ausgestattet werden kann. Vielseitig einsetzbar dieses „indianergöttliche Gerät“. Die Fensterahmen stehen übrigens genau, wie vermutet, auf den bereits angebrachten metallenen Winkeleisen. Zusätzliche werden dann dieselben auf der Oberseite der Fenster angebracht und verschraubt. Schön ist auch zu sehen, wie die Dämmung und die Fassade nach außen reichen werden, denn die Fensterrahmen ragen einige Zentimeter in den Raum hinein. Dieser Vorsprung wird (noch in diesem Schuljahr?) mit Dämmmaterial ausgefüllt sein, damit im Warmen gelernt werden kann. Ich habe auch die seltsame Klebefolie wiederentdeckt, wie sie an den Fenstern in Wachenheim verklebt wurde. Sie ist feuchtigkeitsabsorbierend und wird jetzt auch in Deidesheim komplett um die Fensterrahmen angebracht. Keine Vorstellung habe ich bisher davon, wie die Glasscheiben da jetzt hineinkommen. Vermutlich werden sie mit Saugnäpfen transportiert. Aber wie kommen sie in die oberen Etagen? Sollte etwa Manitou das auch können?

Tag 678 der Baustelle

Dienstags bin ich nur in Deidesheim. Jedes Mal, wenn ich aus dem Büro gehe – und das kommt mitunter oft vor – blicke ich durch das Flurfenster auf die Baustelle und kann auch kleinere Fortschritte entdecken. Heute etwa stand wieder ein LKW mit Fensterrahmen auf dem Hof. Aber dieses Mal sind sie für unseren Neubau bestimmt. Allerdings stand der LKW auch beim zweiten und dritten Verlassen des Büros unberührt am gleichen Platz. Erst das vierte Heraustreten aus dem Büro vergegenwärtigte mir den nun freien Platz, an welchem der LKW noch vorhin stand. Inzwischen hatte ein seltsam martialisch anmutendes Gerät mit nahezu mannshohen Reifen die Baustelle erreicht. Wäre es olivgrün, hätte ich auf ein Kriegsgerät getippt, aber es ist rot lackiert, mit einem silbergrauen Aufbau, der mich an die Gondel einer Seilbahn erinnert. Beim fünften Verlassen meines Büros – dieses Mal trat ich durch die Tür im Sekretariat auf den Flur – erblickte ich einen kleinen Kreis von in Abstand stehenden Menschen, die miteinander redeten. Ich erkannte den Baustellenleiter (inzwischen ist mir seine Silhouette auch von hinten bekannt) und machte mich flugs auf den Weg in den Hof zu der Baustellenbesprechung. Ja, es handelt sich um unsere Fenster. Sind die erstmal gesetzt, geht es an der Fassade weiter. Mein Tipp mit den Bohrlöchern war richtig: dort wird die Dämmung befestigt. Der Bauleiter schmunzelte, als ich ihm das Ergebnis meiner ungefähren Rechnung von über 700 Bohrlöchern erwähnte. „Das müssen Sie sich aber nicht so anstrengend vorstellen. Die benutzen richtige Industriemaschinen, nicht die aus dem Baumarkt. Diese Art von Maschinen können Sie sich gar nicht leisten, die gehen rein wie in Butter“. Ich fragte auch nach dieser seltsamen Maschine und erfuhr, dass es sich um einen Teleskopstapler handele. Er, der Bauleiter, würde sie aber immer nur „Manitou“ nennen und so sei sie in Baukreisen auch bekannt. Niemand würde von einem Teleskopstapler reden. Schon wieder klüger geworden.

Tag 677 der Baustelle

Mit den gestrigen Gedanken im Hinterkopf machte ich mich an den jüngsten Band aus Andreas Maiers „Ortsumgehung“: Die Städte (Berlin 2021).

Dessen erste Worte: „Die Städte kamen sich näher“ (ebd. S. 7) stimmen in einer zunehmend globalisierten Welt durchaus, wobei sie sich in dem Buch lediglich dadurch näherkommen, dass sie durch Reisen des Ich-Erzählers Andreas miteinander verbunden sind. Maier geht es hier nicht um die üblichen, vielleicht auch idyllischen Reiseschilderungen, wie sie aus anderen Zusammenhängen bekannt sind, bebildert und mit reichlich Kulturerbe versehen. Vielmehr könnte ein Satz von Hermann Graf Keyserling die Absicht umreißen: „Der kürzeste Weg zu sich selbst führt um die Welt herum.“ So können auch Maiers Reiseschilderungen in erster Linie als Weg zur Selbstfindung des Schriftstellers gelesen werden und warten nicht mit Sehenswürdigkeiten der Zielorte auf. Ich lese darin, wofür jede einzelne dieser Reisen für seinen Protagonisten Andi steht und für welchen Schritt oder Lebensabschnitt diese in seiner persönlichen Entwicklung stehen.

Tag 676 der Baustelle

Mehrfach habe ich in den Diskussionen um Andreas Maier die Frage gehört oder gelesen, ob die einzelnen Teile der „Ortsumgehung“ autobiografisch seien. Maier versucht dieser Auffassung immer wieder entgegenzutreten. Auf der Tagung „Narrativa“ des Literaturcafes.de 2017 ist ein Podcast mit dem Titel „Nie mehr Handlung!“ entstanden, in welchem der Autor erneut versucht, fiktionales Schreiben, also Geschichten erzählen oder Storytelling, von autobiografisch geprägtem Schreiben abzugrenzen:

Tag 675 der Baustelle

Der Feier- und der Brückentag boten sich an, die Beschäftigung mit Andreas Maier erneut zu intensivieren. Das Turmschreiber-Stipendium ist ja wegen Corona ein Jahr verlängert worden. Der zweite Aufenthalt und damit auch der geplante Besuch in der Schule ist inzwischen für den September angedacht, also verschoben, nicht aufgehoben, er wird kommen. So nahm ich mein Geburtstagsgeschenk zur Hand und las es zu Ende. Erneut im Thema, fiel mir ein, dass ich den letzten Roman von Maier noch gar nicht beschrieben habe. Dies will ich nun nachholen.

Tag 672 der Baustelle

War ja eine kurze Woche, diese Tage seit vorgestern. Dennoch oder gerade deshalb war dieser letzte Wochentag gut angefüllt. Er begann für mich mit einem Unterrichtsbesuch in Gesellschaftslehre. In der vorherigen Stunde hatte die Klasse die „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ bekannt auch unter der „Agenda 2030“) hinsichtlich ihrer Verwirklichung abgeklopft. Deren siebzehn sind im Jahre 2016 von den Vereinten Nationen festgelegt worden und sollen bis 2030 erreicht sein. Ziel der SDG (Sustainable Develpment Goals) ist die nachhaltige Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene. Als Ziele sind beispielsweise formuliert: keine Armut, kein Hunger, hochwertige Bildung, Geschlechtergleichheit, bezahlbare saubere Energie, aber auch der Klimaschutz, das Leben unter Wasser, das Leben an Land und nachhaltiger Konsum. Natürlich ist das ein Riesenpacken an Zielen und der derzeit ist wohl noch keines erreicht. Ziel der Stunde war es nun, diese siebzehn Ziele erneut zu untersuchen und zwar hinsichtlich der Auswirkungen der derzeitigen Pandemie. Das Ergebnis verwundert nicht: Corona ist nicht nur eine gefährliche Viruserkrankung, Corona hemmt, beeinträchtigt oder verhindert Fortschritte bei jedem einzelnen Ziel der Agenda 2030. Eine faszinierende Stunde, die an Aktualität und Relevanz kaum zu überbieten war.

Tag 671 der Baustelle

Der Fensteraustausch am Standort Wachenheim schleppt sich weiter dahin, so dass ein neuer Bauablauf gezimmert wurde. Der Stufenleiter schrieb allen eine aktualisierende E-Mail:

„Soeben erreichte mich die Info, dass der Klassensaal der 5a ab heute wieder nutzbar ist. Höchstwahrscheinlich ab morgen wird der Klassensaal der 5b wieder nutzbar sein. (Er muss nur noch geputzt werden. Bis Mittwoch sind die Klassensäle der 5c und 5d noch nutzbar, nach dem Feiertag werden dann dort die Fenster getauscht“.

Auffallend ist, dass die Nachricht sehr kleinschrittig ist, nur die nächsten Tage und sich auf lediglich vier Räume bezieht. Erfahrung macht klug.


Die bisher erschienen Bücher sind erhältlich im: www.littera-verlag.de/Bücher
(Das Autorenhonorar kommt dem Förderverein der IGS zu Gute.)

Tagebuch_6 Soeben erschienen
„Schulleiters Tagebuch 6,
Die Baustelle und Corona“
2021


Letztens 2 „Letztens 2 - ,
Erlebtes rund um die Schule“
2020

Tagebuch 5
„Schulleiters Tagebuch 5,
Warten auf den Bau“
2017 – 2019

Letztens 1 „Letztens –
Schulleiters Tagebuch ergänzende Kolumnen“

tagebuch_4_ "Schulleiters Tagebuch 4,
Der Weg zum Abitur
2014 - 2017"

Tagebuch 1-3"Deshalb IGS -
Positionen und Hintergründe zur Integrierten Gesamtschule mit Beiträgen aus Schulleiters Tagebuch 1 bis 3"

Tagebuch 3 "Schulleiters Tagebuch 3,
Die ersten Abschlüsse,
2012 - 2014"

Tagebuch 2 "Schulleiters Tagebuch 2,
Der Start in Deidesheim,
2010 - 2012"

Tagebuch 1 "Schulleiters Tagebuch,
Der Start in Wachenheim,
2010 - 2012"