Schulleiter a.D. Dumonts Tagebuch

Tag 411 der Baustelle

An den Mittwoch als Termin für das Schulleitungsteam muss ich mich erst gewöhnen. Was jahrelang montags stattfand, muss sich in meinen Gewohnheitswindungen erst umstellen. Ausgiebig diskutierten wir die Vorgaben hinsichtlich der Elternabende bzw. der Wahlveranstaltungen. Aufgrund der ausgesetzten Klassenfahrten, der Streichung anderer Termine, Kontaktmöglichkeiten hie und da, sehen wir die Notwendigkeit für klassische Elternabende nur in zwei Jahrgängen als gegeben an: die Eltern der fünften Klassen kennen sich ja noch gar nicht und deren Kinder finden sich an einer weiterführenden Schule wieder. Da sind Informationen und Kontakte wichtig. Das sonst übliche Grillen mit den Eltern am Ende der Integrationstage konnte ja ebenfalls nicht stattfinden. Ebenfalls besteht in den neunten Klassen Bedarf. Sie Schüler/-innen gehen auf Abschlüsse und Übergänge zu, über deren Modalitäten wir informieren wollen oder besser müssen, damit jeder seinen künftigen Weg planen kann.

Tag 410 der Baustelle

Ich fuhr am Morgen erst gar nicht nach Deidesheim, denn heute war der große Tag der neuen Fünftklässler. Auch diese Aufnahme war, pandemiebedingt, zusammengestrichen und neu durchorganisiert. Ganz darauf verzichten wollten wir nicht. Unvorstellbar kam es uns vor, dass unsere neuen Kinder einfach so in die Klassen gehen und dann da sind. Mit der Grundschule, die ja auch heute ihre neuen Klassen begrüßte, hatte der Stufenleiter eine n Plan ausgeheckt, der beide Veranstaltungen im Freien mit verschiedenen Zugängen, Orten und Zeiten entzerrte. Von uns waren zeitversetzt zwei Klassen gemeinsam geladen, die Bandklasse spielte zum Auftakt, es folgten Begrüßung und Worte des Schulleiters, dann wurde jede/r Einzelne von den Tutoren mit Namen gerufen und einzeln begrüßt, dann Abmarsch in die Klassenzimmer. Immerhin. Im Vergleich zu den rauschenden Begrüßungsfeiern, wie sie sich bei uns entwickelt haben, nur ein kleiner Abklatsch. Es war mir bisher unvorstellbar, dass es bei uns einen Jahrgang geben wird, in welchem weder Eltern noch die Schüler/-innen den Schulkanon gesungen oder zumindest gehört haben. Das Jahr 2020 wird hoffentlich das einzige bleiben, in welchem weder die Eltern bei einem ersten Abend „Jeder kann was prima machen“ gesungen haben, noch die neuen Klassen. Eine seltsame Zeit erleben wir da!  

 Tag 409 der Baustelle

Das Schuljahr 2020/2021 hat nun auch für die Schüler/-innen begonnen. Zunächst haben wir mit Remmidemmi die neuen Siebtklässler, die ja neu am Standort in Deidesheim ihr Domizil gefunden haben, zu begrüßen. Nicht mit einem Spalier durch alle Schüler/-innen, aber immerhin bildeten die Achtklässler zwei Reihen mit Abstandsregeln und applaudierten, als die Neuankömmlinge hindurchliefen.

Mein nächster Termin war die Begrüßung der neuen Elftklässler in der Turnhalle. Auch sie saßen mit Corona-Abstand auf dem Boden der Turnhalle und harrten ihrer neuen schulischen Zukunft, die für möglichst viele das Abitur bringen soll. Für vier oder fünf gestaltete sich der Start holprig, denn sie trafen zehn Minuten zu spät ein. Am ersten Schultag? Hoffentlich kein Anzeichen auf fehlende Ernsthaftigkeit, sondern aus nicht von den jungen Erwachsenen zu verantwortenden Gründen.

Tag 405 der Baustelle

War das ein Hallo heute Morgen, eine wahre seelische Warmdusche. Auf soviel großer Wiedersehensfreude war ich gar nicht eingestellt. Ich stand da vorne in der Turnhalle, noch auf eine Krücke gestützt – langes Stehen tut dem Knie nicht gut – und konnte in so viele freudige Gesichter blicken, die mir zuvor ihre Freude vermittelten, dass ich wieder „an Bord“ bin. Getoppt wurde das durch eine Bemerkung: „Klar, es hat alles geklappt, aber die Seele der Schule hat gefehlt.“ Wie schön ist das denn, wenn es mir auch übertrieben vorkommt. Dennoch habe ich es tief eingesogen, um diese Begrüßung an schlechten Tagen zur Stärkung hervorholen zu können.

Tag 408 der Baustelle

„Wir tagen am Dienstag in der Schule. Ich würde mich sehr freuen, Sie dort wiedersehen nach all der Zeit“, hörte ich den Architekten durchs Telefon sagen. Jam wir haben so manche Pause durch die Bauverzögerung hinter uns gebracht und nun kam eine weitere durch den Kreuzbandriss dazu. Ich sagte zu, denn ich hatte eh vor, in der Schule zu sein. Welch ein freudiges Wiedersehen, dabei kann ich doch nur wenig zum Bau beitragen. „Einfach, dass Sie dabei sind ist schön. Sie sehen ja draußen die Schule wachsen und wie es vorangeht.“ Ja, inzwischen sind weitere Wände angeliefert und eingefügt worden, so dass der südliche Teil des Erdgeschosses schon fast komplett steht. Nur dort, wo das Büro des Schuleiters und das Sekretariat hinkommen, liegt die Bodenplatte noch ohne Wände „nackt“ da. Hmm! Wenn man bedenkt, dass ich nach der ursprünglichen Planung bereits seit den Sommerferien dort eingezogen sein sollte, erkennt man die erneute Bauverzögerung. Abriss des zweiten Teils des Bestandgebäudes bei laufendem Schulbetrieb? Da wehrte ich mich heftig dagegen. Nach den Abrissarbeiten des ersten Teils kann ich mir das überhaupt nicht vorstellen! Also war meine Teilnahme schon mal nicht umsonst.

Tag 403 der Baustelle

Fast täglich macht das Knie Fortschritte. Mittels der Übungen in der Physiotherapie habe ich bei der Beugung die hundert Grad bereits überschritten. Auch die Socken lassen sich wieder fast normal anziehen, beim Duschen etwa fühle ich mich in der rutschigen Wanne bereits um einiges sicherer und kann ich mich wieder gut im Gleichgewicht halten, die Muskeln lernen also täglich die Arbeit des „alten“ Kreuzbandes zu übernehmen und Schmerzen treten nur noch bei unerwarteten Bewegungen auf. Probleme treten noch beim Treppensteigen auf. Nach wie vor ziehe ich das operierte Bein auf die Stufe hoch, während das linke die nächste Stufe erklimmen muss. Das rechte Knie hat noch keine Kraft, mich hochzudrücken. Und ein Tag in der Schule setzt diese persönliche Baustelle einer ganz anderen Belastung aus, das bemerke ich abends immer. Aber: es geht weiter voran!

Tag 400 der Baustelle

Drei der neuen Kolleg/-innen saßen heute in meinem Büro am ovalen Tisch, natürlich mit gebotenem Corona-Abstand. Mein Bauchgefühl meldete sich mit positiven Signalen. Frohgemut gingen wir auseinander. Jetzt fehlen nur noch sechs. Denn insgesamt werden mit den neuen Studienseminaren neun Lehrkräfte neu bei uns beginnen, das sind immerhin mehr als zehn Prozent. Da ist vom Kollegium wieder Integrationsarbeit zu leisten, damit die Schule auf ihrem Weg bleibt.

Tag 393 der Baustelle

Wie lange ist das jetzt her? Der Radunfall geschah am 17. Mai, also war ich wohl am 15. Mai zum letzten Mal in der Schule. Egal, die Zeitspanne ging heute zu Ende. Nach Absprache mit dem Orthopäden und dem Physiotherapeuten sollte ich zunächst eine Probefahrt mit dem Auto machen, vom Knie her würde nichts dagegensprechen, wieder Auto zu fahren. Und tatsächlich, es klappte wunderbar. Nur das Ein- und Aussteigen macht Mühe, weil ich das operierte Knie nicht wie gewohnt in den Fußraum bekomme, die Hand muss noch Gewicht wegnehmen. Aber das Fahren klappt wie zuvor. Also war ich heute in der Schule und erlaubte mir, auf dem hinteren Hof zu parken. Als Gehbehinderter habe ich mir das gestattet. Ein seltsames Geräusch trat beim Bremsen auf. Wie ich später in der Werkstatt erfuhr, war die Handbremse über das wochenlange Parken angerostet. Sie löste sich zwar mit einem Ruck, hinterließ auf der Bremsscheibe allerdings einen Rand aus Rost, der sich erst „abbremsen“ musste.

Tag 387 der Baustelle

„Sand am Strand ist der denkbar schlechteste Untergrund für ein operiertes Knie, weil es keinen festen Stand hat und immer unkontrolliert ausgleichen muss. Auch die Physiotherapie würde unterbrochen und eine lange Autofahrt an die Ostsee müsste durch viele Pausen unterbrochen werden, um das Knie zu bewegen“, meinte der Arzt im Krankenhaus zu meiner Frage nach dem Urlaub. Also fassten wir früh den Entschluss, dass ich zu Hause bleibe und die Familie alleine ans Meer fuhr. Nun hatte ich, das Positive in den Vordergrund gerückt, Zeit in großem Umfang zum Lesen.

Tag 368 der Baustelle

Gleich am vierten Tag nach der Operation wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Bereits am Tag danach musste ich aus dem Bett und mit dem Physiotherapeuten erste Schritte über den Flur gehen. Es war wohl eher ein Schlürfen an zwei Krücken, aber Bewegung ist alles. Nun liege ich zu Hause die meiste Zeit auf dem Gästebett im Wohnzimmer. Zwar musste ich im Krankenhaus bereits Treppen steigen, aber zu Hause muss das ja noch nicht sein. Zweimal die Woche kommt ein anderer Physio und versucht, mein Knie „auf die Reihe“ zu bringen. Das ursprüngliche Kreuzband verfügte natürlich über Nerven, die dem Gehirn jede Menge Informationen lieferten. Das „neue“ Kreuzband“ aus einer Sehne entbehrt dieser Informationsquelle. „Also“, so der Krankengymnast, „müssen die umliegenden Muskeln dies erlernen“. Ich merke dies zum Beispiel auch beim Gleichgewichtsgefühl. Erstaunlich, wie oft das Knie dabei beteiligt ist – ich bin darin jetzt ganz verunsichert und hoffe, die Muskeln lernen schnell. Ansonsten ist die Operation gut verlaufen. Am Meniskus hatte ich mir noch einen Lappenriss zugezogen. Der wurde aber nicht genäht, sondern der eingerissene Lappen wurde kurzerhand abgeschnitten. Der entstandene Leerraum muss sich jetzt füllen. Womit? Am ebenfalls angerissenen Innenband haben die Operateure nichts gemacht. Das war bereits soweit schon „geheilt“, dass ein künstlicher Eingriff nichtnotwendig war. „Da haben Sie ganz schön zugelangt“, meinte der Chefarzt bei der Visite. Am meisten vermisse ich die erhöhte Kloschüssel aus dem Krankenhaus mit den Griffen zum Festhalten. Das Hinsetzen und Aufstehen bei der viel niedrigeren Toilette zu Hause ist schmerzhaft und umständlich, weil das Knie viel mehr gebeugt werden muss. Die Griffe, die im Krankenhaus so praktisch dort angebracht waren, wo ich sie benötigte, fehlen ja zu Hause gänzlich und die Krücke – nein: Unterarmgehhilfe – musste als Ersatz dienen. Bereits am Krankenbett musste ich das operierte Bein auf eine passive Bewegungsschiene legen. Ein Elektromotor beugte das auf der Schiene abgelegte Knie. Wir begannen am ersten Tag bei dreißig Grad. Am dritten Tag stellte der Therapeut bereits 45 Grad ein. Es ging also von Anfang an vorwärts. Dennoch schien mir zu erreichende Grad Zahl von 135 als utopisch und unerreichbar.


Die bisher erschienen Bücher sind erhältlich im: www.littera-verlag.de/Bücher
(Das Autorenhonorar kommt dem Förderverein der IGS zu Gute.)

Tagebuch_6 Soeben erschienen
„Schulleiters Tagebuch 6,
Die Baustelle und Corona“
2021


Letztens 2 „Letztens 2 - ,
Erlebtes rund um die Schule“
2020

Tagebuch 5
„Schulleiters Tagebuch 5,
Warten auf den Bau“
2017 – 2019

Letztens 1 „Letztens –
Schulleiters Tagebuch ergänzende Kolumnen“

tagebuch_4_ "Schulleiters Tagebuch 4,
Der Weg zum Abitur
2014 - 2017"

Tagebuch 1-3"Deshalb IGS -
Positionen und Hintergründe zur Integrierten Gesamtschule mit Beiträgen aus Schulleiters Tagebuch 1 bis 3"

Tagebuch 3 "Schulleiters Tagebuch 3,
Die ersten Abschlüsse,
2012 - 2014"

Tagebuch 2 "Schulleiters Tagebuch 2,
Der Start in Deidesheim,
2010 - 2012"

Tagebuch 1 "Schulleiters Tagebuch,
Der Start in Wachenheim,
2010 - 2012"