Schulleiter a.D. Dumonts Tagebuch

Mittwoch, 07, August 2019


Tag 38 der Baustelle:

Ist es denn wirklich wahr? Ist das ein Traum, eine Vision? Oder gar nur Einbildung? Nein, es ist die Realität: Heute Morgen ging der gelieferte Bagger ans Werk – und wie! Es krachte, staubte, klopfte und das Gebäude vibrierte. Der Bagger stieß mit 170 bar und seinem typischen Hämmern immer wieder mit dem Abrissmeißel ins Mauerwerk der Stirnseite, erst brachen einzelne Steine heraus, dann krachten größere Gruppen in die Tiefe, am Ende gar ganze Mauerteile. In drei Etagen konnte man bald hineinblicken. Es sah etwa so aus, wie die Bilder aus dem Fernsehen nach Gasexplosionen oder Anschlägen: Woher bis vor kurzem noch Schülerleben herrschte, regierte nun trist der Abrissmeißel. Da blieb ein Waschbecken von unten sichtbar zunächst noch hängen, hier steht noch die Toilettenschüssel, da hinten die Wand haben Klassen seinerzeit selbst gemalert. Emotionslos tauschte aber der Bagger den Meißel gegen die Schaufel aus. Riesig kam sie mir vor und trotzdem schaffte es der Baggerführer das große Eisenteil, das gut und gerne beinahe ein halbes Klassenzimmer einnahm, geschickt gegen die hintere Wand zu drücken, so lange, immer wieder und immer fester, bis diese ihren Widerstand aufgab und einstürzte. Nur das tragende Betongerüst mit den Armierungseisen blieb stehen. Durch das lange und intensive Zuschauen wurde der Baggerfahrer auf mich aufmerksam. „Du Anwohner hier?“, fragte er mich mit einem deutlich ausländischen Akzent. „Nein, ich bin der Schulleiter.“, war meine Antwort. Darauf er: „Ah, so was wie Hausmeister?“. „Nein, so was wie Chef der Schule.“ „Oh, aber angezogen wie Urlaub.“, war seine Reaktion.

Angesichts der Wärme und der Ferien war ich tatsächlich locker gekleidet und dachte schmunzelnd an Gottfried Kellers „Kleider machen Leute“. Erneut wurde der Baggervorsatz ausgetauscht. Nun kam die riesige Eisenschere zum Eisensatz. 80.000 Euro würde sie kosten, sagte mir einer der Arbeiter. Sie schaffte es die Betonstützen langsam aber stetig durchzuschneiden. Es krachte und knirschte, aber am Ende hatte der Beton gegen dieses, einem Tyrannosaurus Rex ähnlichen Ungetüm, nicht die geringste Chance. Wir standen lange staunend an verschiedenen Plätzen, holten die Mobiltelefone heraus, fotografierten und filmten den Abbruch. Dann rauschte eine silberne Limousine für eine Baustelle viel zu schnell heran, die Statikerin sprang aus dem Auto und stoppte zunächst das grausige und gebäudemordende Geschehen. Richtig, die Stützwand an der künftigen Abbruchkante war ja immer noch nicht hochgemauert und dadurch die ganze Statik des Gebäudes nicht gesichert. Da kann man nicht einfach Mauern und tragende Teile abreißen. In einem, im Verlauf lauter werdenden Gespräch, markierte sie mit fester Stimme die Stelle beziehungsweise die Wand, bis zu der abgerissen werden darf. Der Rest bleibt stehen, bis die Stützmauer eingebaut ist. „Wir wollen ja, dass der andere Teil nicht auch umfällt!“ Das „gezackte Gebiss des Tyrannosaurus“ war noch montiert. Also ging es an der östlichen Ecke weiter. Als die mittlere Stütze „geknackt“ war, fielen mit einem bisher nicht gekannten Donner das Dach und zwei Etagendecken zu Boden. Eine riesige Staubwolke kam auf uns zu. Mich erinnerte das an die Staubwolken des elften Septembers in New York. Als wir wieder klarer sehen konnten, hing eine der dicken Decken in der Größe eines Klassenzimmers senkrecht herunter, nur noch an ein paar Armierungseisen hängend. Welch ein Schauspiel! Erst recht, als die Abrissschere dieses Eisen durchtrennte und der riesige Betonbrocken eine Etage tiefer auf das Geröll donnerte. Wo doch bisher friedlich Jugendliche lernten, vielleicht auch vor sich hindösten, ging es heute mit brachialer Gewalt zu. Welch ein Kontrast!

Fakt ist nun, dass der Abriss bis zum Montag natürlich nicht vollendet sein wird. Wie lange das Errichten der Trennmauer dauern wird, ist mir nicht bekannt. So lange jedenfalls bleibt das „angenagte“ Gebäude zur Hälfte noch stehen!

Trotz all dem „Abenteuer Schulabriss“, das den kleinen Jungen in mir zu intensivem Staunen und Zuschauen verführte, gelang es mir, den letzten Akt in der Personalplanung vollziehen zu können. Eine Kollegin ist gefunden, die sich schon morgen vorstellen wird. Dann wären wir auf dem Papier doch tatsächlich vollständig ausgestattet. Ihren Dienst wird sie nicht direkt antreten können, der Amtsschimmel muss erst noch wiehern und den Vertrag erstellen. Ich rechne mit zwei Wochen. Aber wenn man bedenkt, dass aus Mainz sieben weitere Planstellen geschaffen oder freigegeben oder aus dem Hut gezaubert oder was auch immer wurden, die nun auf die Schnelle (an anderen Schulen) besetzt werden müssen und dadurch wiederum an Schulen fest eingeplante Vertretungskräfte (Es sei ihnen gegönnt!) wegfallen, dann dreht sich hier nochmal das Personalkarusell mit erhöhter Rundenzahl – und das einige Tage vor Schulbeginn! Gemessen also daran, sind wir gut dran mit unserem seit heute kompletten Kollegium! 


Die bisher erschienen Bücher sind erhältlich im: www.littera-verlag.de/Bücher
(Das Autorenhonorar kommt dem Förderverein der IGS zu Gute.)

Tagebuch_6 Soeben erschienen
„Schulleiters Tagebuch 6,
Die Baustelle und Corona“
2021


Letztens 2 „Letztens 2 - ,
Erlebtes rund um die Schule“
2020

Tagebuch 5
„Schulleiters Tagebuch 5,
Warten auf den Bau“
2017 – 2019

Letztens 1 „Letztens –
Schulleiters Tagebuch ergänzende Kolumnen“

tagebuch_4_ "Schulleiters Tagebuch 4,
Der Weg zum Abitur
2014 - 2017"

Tagebuch 1-3"Deshalb IGS -
Positionen und Hintergründe zur Integrierten Gesamtschule mit Beiträgen aus Schulleiters Tagebuch 1 bis 3"

Tagebuch 3 "Schulleiters Tagebuch 3,
Die ersten Abschlüsse,
2012 - 2014"

Tagebuch 2 "Schulleiters Tagebuch 2,
Der Start in Deidesheim,
2010 - 2012"

Tagebuch 1 "Schulleiters Tagebuch,
Der Start in Wachenheim,
2010 - 2012"