Schulleiter a.D. Dumonts Tagebuch

Donnerstag, 22. Juli 2021


Tag 740 der Baustelle

Der gestrige Tag verlangte viel von mir ab, das Ausräumen wurde durch vier lange Gespräche unterbrochen bzw. über drei Stunden hinweg sogar gestoppt. Zunächst gilt es ja, die Schule so aufzustellen, dass sie nach den Ferien möglichst übergangslos weiterläuft. Hinzu kam eine seit längerem zugesagtes Video-Interview mit einem hessischen Juristen aus der Schulverwaltung. Er ist Redaktionsmitglied einer Zeitschrift namens „Schulverwaltung“, für die ich selbst in „grauer Vorzeit“ als Stufenleiter schon mal geschrieben und unsere damalige Projektarbeit und differenzierte Leistungsmessung vorgestellt habe. Das Gespräch, die Videoschaltung oder wie auch immer sollte länger dauern als die eingeplanten sechzig Minuten. Aber wir stachelten uns gegenseitig immer wieder mit Stichworten an, die der jeweils andere direkt mit einer Anekdote zu schmücken wusste. Eigentliches Thema war aber die erfahrene Zusammenarbeit mit der Schulaufsicht. Da konnte ich aus dreizehn Jahren natürlich eine Menge Stoff liefern. Mittendrin wollte sich das Reinigungsteam noch von mir verabschieden, aber sie sahen mich, das Headset auf den Ohren, das Mikrofon vor dem Mund, am Computer sitzen. Sie hoben ihre Geschenke hoch gestikulierten, dabei musste es momentan bleiben. Sie legten zwei Tafeln Schokolade auf den Tisch und eine Rolle Schokokekse. Die einen wollen mich zum Trinker machen, die anderen zum Schwergewicht. Dank gestisch ausdrückend und einen „Luftkuss mit der Hand gestikulierend“, nahm ich an. Während des Gesprächs trat auch der Bagger in Aktion. Zuvor hatte ich auf den zugeschütteten Leerrohren gelbe und blaue Bänder gesehen. Sollte der Graben einmal geöffnet werden, weiß der künftige Baggerführer: Achtung! Wasser- oder Gasrohre! Und dann schüttete das Baugerät den Graben mit Schotter zu, ein Rüttler verdichtete ihn mit dauerhaftem Brummen, das wieder bis ins Büro zu hören und manchmal zu spüren war.

Zu dieser Stunde durfte ich zum letzten Mal eine neue Kollegin begrüßen, gute Laune und Atmosphäre schaffen und die Grundlagen der IGS darlegen. Natürlich interessierte sie ihr Unterrichtseinsatz an ihrer ersten Schule nach dem Referendariat, den ich mit zuvor bereits aus der Unterrichtsverteilung herausgeschrieben hatte, man kennt sich ja aus. Wenn ich über den Daumen mal hochrechne habe ich über die Jahre hinweg ja gut und gerne fünfzig oder sechzig dieser Erstbegrüßungen erlebt. Gestört wurden wir immer wieder von neuen Schotterladungen, die wieder der große Kipplaster anfuhr, neues „Fressen“ für den Bagger. Jedes Mal, wenn sich der schräg hochgefahrene Laderaum geleert hatte, ruckelte der Fahrer etwas hin und her, damit sich auch der letzte Rest des rötlich gefärbten Schotters auf den Weg nach draußen machte. Dann donnerte die massive Eisenklappe an den Laderaum und verursachte einen dumpfen Aufprall, der wohl im ganzen Schulgebäude zu hören war.

Nun ist mein Büro (fast) ausgeräumt. Die großflächigen Bilder lasse ich mal hängen, denn dahinter befinden sich nicht gestrichene Stellen, alte Bohrlöcher und Mauernischen zweier ehemaliger kleinen Tresore. Das sähe ja nicht schön aus. Auch wenn es zunächst keinen Schulleiter geben wird, ein Zimmer für eventuell ungestört verlaufen sollende Gespräche sollte es ja dennoch geben und die sollen nicht zwischen unschönen Wänden mit nicht gestrichenen Stellen stattfinden. Die kleinen Bilderrahmen, in denen Fotos aller meiner Teams eingerahmt sind und die insgesamt meine lange Zeit an drei verschiedenen Schulen abgebildet haben, legte ich sorgfältig in eine Tasche und zog die kleinen Nägel noch aus der Wand. Den großen Plüschtier-Geißbock ließ ich stehen, er könnte vielleicht dem neuen Jahrgang als Maskottchen begleiten.

Die ehemalige Schuluhr, die ich mit einem elektrischen Laufwerk versehen hatte, übergab ich den Hausmeistern. Wer würde sie besser in Ehren halten können als die beiden. Unversehens erntete ich einen herrlichen Dank. Vom „schönsten Geschenk, das ich ihnen habe machen können“, war die Rede. Und dann machte ich mich mit den zusätzlichen Taschen auf dem Weg zum Auto. Da ich aber noch während der Ferien wiederkommen werde, kam nicht der sentimentale Abschied eines „letzten Ganges“ auf, auch die Schlüssel für Deidesheim gab ich noch nicht ab. Dennoch fiel ein letzter Blick in das „entkleidete“ Büro bedeutungsvoll aus. Die weiße Pinnwand fristete ein leeres Dasein, nur die bunten Magnete zeugten zusammengezogen zu sehen und vermittelten den Eindruck eines Umzuges, eines Raumes in einer Zwischenphase: Der bisherige Bewohner ist gegangen, lässt Reste zurück, ein Neuer ist noch nicht da.  Ja, letzten Endes „war ‚es‘ das dann ja auch“.  


Die bisher erschienen Bücher sind erhältlich im: www.littera-verlag.de/Bücher
(Das Autorenhonorar kommt dem Förderverein der IGS zu Gute.)

Tagebuch_6 Soeben erschienen
„Schulleiters Tagebuch 6,
Die Baustelle und Corona“
2021


Letztens 2 „Letztens 2 - ,
Erlebtes rund um die Schule“
2020

Tagebuch 5
„Schulleiters Tagebuch 5,
Warten auf den Bau“
2017 – 2019

Letztens 1 „Letztens –
Schulleiters Tagebuch ergänzende Kolumnen“

tagebuch_4_ "Schulleiters Tagebuch 4,
Der Weg zum Abitur
2014 - 2017"

Tagebuch 1-3"Deshalb IGS -
Positionen und Hintergründe zur Integrierten Gesamtschule mit Beiträgen aus Schulleiters Tagebuch 1 bis 3"

Tagebuch 3 "Schulleiters Tagebuch 3,
Die ersten Abschlüsse,
2012 - 2014"

Tagebuch 2 "Schulleiters Tagebuch 2,
Der Start in Deidesheim,
2010 - 2012"

Tagebuch 1 "Schulleiters Tagebuch,
Der Start in Wachenheim,
2010 - 2012"