Schulleiter a.D. Dumonts Tagebuch

Mittwoch, 16. Dezember 2020


Tag 526 der Baustelle

So, die Zeit einer neuen Erfahrung ist angebrochen: Es besteht für drei Tage keine Präsenzpflicht für Schülerinnen und Schüler, um die steigenden Infektionszahlen möglichst einzudämmen, ohne die Schulen zu schließen. Ich benötigte einige Zeit, um diese Regelung zu verstehen, denn worin besteht der Unterschied zwischen einer Schulschließung mit der Möglichkeit der Notbetreuung für Kinder, die zu Hause nicht betreut werden können und der Aufhebung der Präsenzpflicht? In beiden Fällen sind die Schulen nahezu leer. Der juristische Feinsinn feiert hier fröhlichen Urstand: zwei anscheinend bedeutende Fakten markieren den Unterschied. Im Falle der Schulschließung zeichnet das Land dafür verantwortlich, wenn das Grundrecht auf Bildung außer Kraft gesetzt wird und die Bildungsziele der jungen Generation an drei Tagen nicht erreicht werden. Wenn Eltern ihre Kinder bei fehlender Präsenzpflicht zu Hause lassen, tragen sie die Verantwortung. Im Falle der Schulschließung muss zweitens so etwas wie Fernunterricht oder andere pädagogische Angebote gemacht werden, im Falle der aufgehobenen Präsenzpflicht findet Unterricht ja statt, an dem man teilnehmen könnte. Von unseren 850 Schülerinnen und Schülern nahmen 848 die Aufhebung der Präsenzpflicht wahr. Für zwei Kinder den Stundenplan aufrecht erhalten? Das will natürlich in keiner Richtung einen Sinn ergeben. Was ist dann aber mit der Dienstpflicht der Lehrkräfte? Verordnete Anwesenheit in einer leeren Schule nach Stundenplan? Die Nachrichten und Regelungen überschnitten sich per Mail. Das Ministerium schrieb, die Schulaufsicht präzisierte, der Hauptpersonalrat antwortete auf eine Nachfrage und die Direktorenvereinigung fragte nach. Letztendlich mussten Schulleiter und ihre weiblichen Kolleginnen eine Entscheidung vor Ort treffen. Sie nehmen den Raum dazwischen ein, auf der einen Seite der Schulaufsicht verpflichtet, auf der anderen Seite gilt es eine nachvollziehbare Entscheidung zu treffen, die auch in ein motiviertes Kollegium hineinstrahlt. Ich versuchte mich nahe an einer salomonischen Formulierung, hob die Präsenzpflicht an der Schule auf, setzte aber Dienst im Rahmen des Stundendeputats an, was durchaus dem Rahmen der ministeriellen Anordnungen nahekommt. Letztendlich stellte sich diese Regelung auch als eigentlich gewollt heraus, sie ging nur in einer etwas verzwickten Kommunikation unter. Lehrkräfte haben also nicht drei Tage länger Ferien, diesen einen Eindruck wollte man partout vermeiden.

Wir jedenfalls bereiteten den Fernunterricht ab Januar vor, in der Schule, aber auch zu Hause, installierten allein zehn Kameras und Headsets an Schulcomputern (Danke an den Förderverein, der diese finanzierte), testeten auch von zu Hause aus, wie die Technik funktionierte (Für Spezialisten der IT-Branche wird dies fraglos als gut bezahlte Arbeit eingestuft, Lehrkräfte müssen sich das selbst irgendwie aneignen), bereiteten auch inhaltlich den Fernunterricht vor und klärten nochmals die Kommunikationswege ab.

Aus den Rückmeldungen von Eltern und der Schülerschaft aus der ersten Schulschließung lernend, übertrugen wir die längst in der Schublade liegenden Pläne auf die neue Plattform IServ. Die Einzelheiten festzulegen, praxisfähig für die ganze Schule zu machen und ans gesamte Kollegium zu kommunizieren, das stellte die Arbeit der Schulleitung dar. (Kleine Randbemerkung: Dies umfasste wesentlich mehr Zeit als die einzelnen Deputate hergaben). Woher speist sich diese immer wieder aufkeimende Angst, dass Lehrkräfte zu wenig arbeiten? Vielleicht daher, dass ganze Zeitspannen nicht richtig zu greifen sind und daher als „ungebundene Arbeitszeit“ betitelt werden. Wer diesen Beruf aber ernst nimmt, wird am Ende unterm Strich gut dastehen. Wobei ich doch während des letzten Home-Schoolings immer wieder hörte, welchen Respekt vor dem Lehrerberuf das häusliche Arbeiten mit Eltern hervorgebracht hat, jetzt, da viele selbst erfahren hatten, was es heißt, Jugendliche in durchaus nicht unkompliziertem Alter motiviert bei der Stange zu halten. Freilich dokumentierten wir alles, was dieser Tage geschieht. Wer weiß, wann den Rechnungshof wieder einmal der Stachel löckt.      


Die bisher erschienen Bücher sind erhältlich im: www.littera-verlag.de/Bücher
(Das Autorenhonorar kommt dem Förderverein der IGS zu Gute.)

Tagebuch_6 Soeben erschienen
„Schulleiters Tagebuch 6,
Die Baustelle und Corona“
2021


Letztens 2 „Letztens 2 - ,
Erlebtes rund um die Schule“
2020

Tagebuch 5
„Schulleiters Tagebuch 5,
Warten auf den Bau“
2017 – 2019

Letztens 1 „Letztens –
Schulleiters Tagebuch ergänzende Kolumnen“

tagebuch_4_ "Schulleiters Tagebuch 4,
Der Weg zum Abitur
2014 - 2017"

Tagebuch 1-3"Deshalb IGS -
Positionen und Hintergründe zur Integrierten Gesamtschule mit Beiträgen aus Schulleiters Tagebuch 1 bis 3"

Tagebuch 3 "Schulleiters Tagebuch 3,
Die ersten Abschlüsse,
2012 - 2014"

Tagebuch 2 "Schulleiters Tagebuch 2,
Der Start in Deidesheim,
2010 - 2012"

Tagebuch 1 "Schulleiters Tagebuch,
Der Start in Wachenheim,
2010 - 2012"